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Wie gefährlich sind Fake News? : Datum: , Thema: Interview

Zum „Safer Internet Day“ spricht bmbf.de mit Medienforscher Jan-Hinrik Schmidt über Fake News und Filterblasen in Sozialen Medien. „Wer versteht, wie Soziale Medien funktionieren, kann sich dort sicher bewegen“, sagt der Experte.

Fake News
© Adobe Stock / Jürgen Fälchle

Bmbf.de: Herr Schmidt, in den Sozialen Medien kursieren viele Falschmeldungen oder Verschwörungsmythen rund um das Coronavirus. Schlimmstenfalls können solche Fake News Menschenleben gefährden – etwa wenn sich Menschen aus Angst vor „Spätfolgen“ nicht impfen lassen. Sind die Sozialen Medien schlecht für die Gesellschaft?

Jan-Hinrik Schmidt: Soziale Medien sind an sich erst einmal weder gut noch schlecht. Entscheidend ist, wie sie genutzt werden: Wer versteht, wie Soziale Medien funktionieren, kann sich dort sicher und verantwortungsvoll bewegen. Wichtig ist, dass die Sozialen Medien einer anderen Logik als die klassischen Medien folgen: Die Hürden, etwas zu veröffentlichen, sind niedrig. Jeder User kann Informationen verbreiten; es gibt keine redaktionelle Kontrolle. Inhalte können sich schneeballartig verbreiten – und in kürzester Zeit viele Menschen erreichen. Jeder User kann zudem durch sein Verhalten beeinflussen, welche Informationen er sehen will. Das alles wird dann durch Algorithmen verstärkt, die uns personalisierte, also auf uns zugeschnittene Informationen und Werbung empfehlen.

...gerade Letzteres sorgt doch dafür, dass Menschen in „Filterblasen“ abdriften, die mit der Realität oft nichts mehr zu tun haben. Sehen Sie hier die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung?

Jein. Die Gesellschaft als Ganzes fällt nicht auseinander! Die meisten Menschen informieren sich nicht einseitig über die Sozialen Medien – und genau das schützt vor Filterblasen. Wir wissen zum Beispiel aus dem „Reuters Digital News Report“, dass nach wie vor das Fernsehen und journalistische Online-Angebote für viele Menschen wichtige Nachrichtenquellen sind. Aber es stimmt auch, dass Menschen gerade online mit Desinformationen konfrontiert sind und sich ein kleiner Teil der Bevölkerung auch aus demokratischen Debatten verabschiedet hat.

Wen meinen Sie damit?

Insbesondere Populisten und Anhänger von Verschwörungstheorien finden in den Sozialen Medien sogenannte Resonanzräume oder Echokammern. Dort kommen sie mit ihresgleichen zusammen, um wechselseitig ihr Weltbild zu bestätigen – so abstrus das auch sein mag. Das liegt in der Natur des Menschen, wie wir aus der Sozial- und Verhaltensforschung wissen. Wir umgeben uns gerne mit Gleichgesinnten und Soziale Medien stärken dieses „Wir-Gefühl“. So glauben die Wenigen dann, sie seien in der Mehrheit.

…und darin sehen Sie kein Problem?

Doch, durchaus, aber es kommt auf den Blickwinkel an. Wie gesagt: Wir sprechen über einen kleinen Teil der Bevölkerung. Über die Sozialen Medien finden sich aber ja auch Menschen zusammen, die sich Populisten entgegenstellen oder die ihre Bereitschaft zum Ausdruck bringen, in der Corona-Pandemie ihre persönliche Freiheit zum Wohle anderer Menschen einzuschränken. Soziale Medien können also auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Sie helfen dabei, sich auszutauschen und in Kontakt zu bleiben – mit Freunden und Bekannten in der ganzen Welt.

Was kann man tun, um sich vor dem Abdriften in eine Filterblase zu schützen?

Über den Tellerrand schauen – also etwa nach dem Lesen der FAZ auch in die taz schauen. Sprechen Sie mit Andersdenkenden! Und hinterfragen Sie durchaus auch alle Informationen, die sie in Sozialen Medien angezeigt bekommen. Oft reicht schon der gesunde Menschenverstand oder eine kurze Recherche, um Desinformationen zu erkennen.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Wenn zum Beispiel „Spaziergänger“ sagen, sie seien „das Volk“, dann sollte man sich zuallererst fragen: Wie viele Menschen kommen da zusammen – und wie viele leben eigentlich in der Stadt, in der gerade demonstriert wird? Interessant kann auch der Vergleich der Anzahl der täglichen Impfungen in einer Stadt mit den Demonstrationsteilnehmern sein…

Anhänger von Verschwörungstheorien oder Systemkritiker glauben dennoch nur noch ihrer eigenen Community. Können wir es uns als Gesellschaft erlauben, solche Gruppen dauerhaft zu verlieren?

Als demokratische Gesellschaft sollten wir den Anspruch haben, alle mitzunehmen. Das bedeutet auch, dass wir Debatten mit standhaften Kritikern nicht scheuen dürfen. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Aber genauso sollten wir stets zeigen, dass es Grenzen gibt: Wir müssen nicht tolerant gegenüber den Intoleranten sein.

Können Sie das genauer erklären – wo sehen Sie diese Grenzen?

Die Grenzen gibt das Grundgesetz vor. Wenn jemand einzelne politische Entscheidungen oder Maßnahmen kritisiert oder infrage stellt, ist das legitim – eine wehrhafte Demokratie muss das aushalten. Wenn aber jemand unsere Demokratie grundsätzlich infrage stellt oder sich menschenverachtend äußert, müssen wir das nicht hinnehmen. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, also von uns allen, diese Grenzen zu verteidigen.

Herr Schmidt, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Jan-Hinrik Schmidt erforscht digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am „Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut“ (HBI). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf den Entwicklungen des „Web 2.0“ beziehungsweise der „Sozialen Medien“. Dabei interessieren ihn insbesondere die Veränderungen von Informationsverbreitung und Meinungsbildung sowie die Praktiken und Strukturen, die digitale Kommunikation regulieren. Seit Herbst 2021 leitet er am HBI die Aktivitäten im Rahmen des Forschungsinstituts für Gesellschaftlichen Zusammenhalt, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Der Forschungsbeitrag der HBI-Forschenden orientiert sich an der Leitfrage, welche Rolle Medien und Kommunikation für gesellschaftlichen Zusammenhalt spielen.