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Inklusive Sicherheit: Damit es jeder raus schafft : Datum: , Thema: Forschung

Menschen mit körperlichen, geistigen oder altersbedingten Beeinträchtigungen werden in Evakuierungsplänen oft nicht genügend berücksichtigt. Im Projekt SiME haben Forschende daher Konzepte und Pläne entwickelt, die mehr Sicherheit für alle bieten.

Großes Engagement bei den Bewegungsstudien in der Lebenshilfe Bergisches Land und den Studien zur Bewegung von Gruppen.
Großes Engagement bei den Bewegungsstudien in der Lebenshilfe Bergisches Land und den Studien zur Bewegung von Gruppen: Anhand der Ergebnisse können die Forschenden Evakuierungsszenarien berechnen. © Ralf Eisenbach

Was tun, wenn es brennt? Für viele Menschen ist es vollkommen klar: Jacke nehmen und raus. Aber was ist mit Menschen mit körperlichen, geistigen oder altersbedingten Beeinträchtigungen, die sich nicht oder nur schwer selbstständig retten können? Sie werden in Notfallkonzepten und Rettungsplänen oftmals nicht ausreichend berücksichtigt. Ziel der Forschenden im inzwischen abgeschlossenen Projekt SiME, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wurde, war es daher, das zu ändern. Sie erforschten und entwickelten neue Evakuierungskonzepte, die alle Menschen mit einschließen.

Axel Pulm ist Geschäftsführer der Lebenshilfe Bergisches Land und Mitinitiator des SiME-Projektes. „Natürlich sind alle unsere Gebäude konzeptionell auf einem aktuellen Stand“ erklärt er. „Aber wir wissen nicht, wie wir Evakuierungen in unseren Häusern optimieren können. Dafür fehlt ein genaues Verständnis der Prozesse.“ Genau dort setzte das Forschungsprojekt SiME – „Sicherheit für Menschen mit körperlichen, geistigen oder altersbedingten Einschränkungen“ – an. Gemeinsam mit Menschen mit Beeinträchtigungen und Partnern aus der Praxis erforschten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Bewegungen von Gruppen von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, um alle Personengruppen in die Evakuierung einzubeziehen und diese am Ende schneller und sicherer zu machen.

Studie mit 100 Menschen

Die Forschenden beobachteten die kontrollierte Evakuierung einer Wohneinrichtung für erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung. Im Zentrum der Untersuchungen standen hier die Anforderungen an das Betreuungspersonal und die Konsequenzen, die beispielsweise bei der Nutzung von Assistenzmitteln wie etwa dem Evakuierungsstuhl entstehen. Im Alltag fehlt im Umgang mit solchen Hilfsmitteln schlichtweg oft das Erfahrungswissen. Eine weitere (erwartete) Erkenntnis der Studien war es, dass das Verhalten von Menschen mit geistigen Behinderungen unvorhersehbar und für Menschen ohne Beeinträchtigung häufig unvorstellbar sein kann. So stellte sich in Evakuierungsübungen beispielsweise heraus, dass Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen manchmal erst auf ihre Betreuerinnen und Betreuer warten, statt sich selber direkt in Sicherheit zu bringen. Regelmäßige Evakuierungsübungen sind daher dringend nötig.

Die Projektpartner erforschten und entwickelten allgemeine Konzepte und vorausschauende Regeln für die Planung von Evakuierungen in Gebäuden mit unterschiedlichen Nutzergruppen wie etwa Werkstätten der Eingliederungshilfe, damit die Verantwortlichkeit nicht alleine auf den Schultern der jeweiligen Betreuerinnen und Betreuer vor Ort ruht. Hierfür wurden von den Wissenschaftlern in einer Industriehalle sogenannte „Bewegungsstudien“ mit rund 100 Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen durchgeführt. In vielen Einzelstudien wurden die Bewegungen von Kameras und Sensoren aufgezeichnet, um besser zu verstehen, wie sich einzelne Personen in der Gruppe bewegen. Anhand der Ergebnisse konnten die Forschenden Evakuierungsszenarien berechnen.

Ergebnisse und deren Umsetzung

Zum Projektende im Frühjahr 2019 wurden die Erkenntnisse in Schulungskonzepte für Menschen mit Behinderungen und das Personal von entsprechenden Einrichtungen überführt. Zudem entwickeln die SiME-Partner ein frei verfügbares Kartenspiel zum Thema „Notfall“ in leichter Sprache. Damit soll der Umgang mit Sicherheitsthemen spielerisch geübt und die Selbsthilfefähigkeit von Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen gestärkt werden.

Auf der Abschlussveranstaltung im Mai 2019 präsentierten die Forschenden in den Räumen der Werkstatt Lebenshilfe Bergisches Land in Wermelskirchen ihre Ergebnisse vor einem Fachpublikum und geladenen Journalisten. Dabei kamen auch Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen zu Wort, die sich im SiME-Projekt eingebracht haben. Hervorzuheben war insbesondere ihr beeindruckendes Engagement, mit dem sie dem versammelten Publikum die Wichtigkeit der Thematik aus ihrer ganz persönlichen Sicht aufzeigten. Auf der Veranstaltung konnte dann jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer in einem Rollstuhlparcours oder beim Einsatz eines Evakuierungsstuhls selber ausprobieren, wie schwierig es ist, Hindernisse wie etwa Schrägen und Bordsteinkanten zu meistern. Zusätzlich konnten alle beim SiME-Aktionskartenspiel testen, wie es um ihr Wissen zum richtigen Verhalten im Notfall bestellt ist.

Erste direkte Konsequenzen haben die Feldstudien bereits bewirkt: Die Projektpartner lassen derzeit ihre Gebäude überprüfen und überarbeiten ihre Brandschutzkonzepte. Mithilfe der in SiME gewonnenen Ergebnisse soll es zukünftig möglich werden, öffentliche Bauwerke so zu errichten, dass für alle Menschen ein vergleichbares Sicherheitsniveau gewährleistet wird. Damit leistet SiME einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Selbsthilfefähigkeit von Personen mit Beeinträchtigungen und trägt zum Abbau von Hemmnissen bei, alleine in bestimmte Gebäude zu gehen.

Sicherheit für Menschen mit körperlicher, geistiger oder altersbedingter Beeinträchtigung (SiME)

Das SiME-Projekt wurde vom Bundesforschungsministerium von Anfang 2016 bis Mai 2019 innerhalb des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ mit über einer Million Euro gefördert. Dort lief es im Rahmen der Förderrichtlinie „Zivile Sicherheit – Resilienz im Krisen- und Katastrophenfall“. Projektpartner waren neben der Lebenshilfe Bergisches Land (LHBL), das Forschungszentrum Jülich (FZJ), die Hochschule Niederrhein (HSNR), die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (OvGU) und die Unternehmen PTV Transport Consult (PTV) und TraffGo HT. Koordiniert wurde das Projekt von der Bundesanstalt für Materialforschung und -Prüfung.